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villon So, dritter Teil. Noch sehr viel länger. Aber es gibt da eben sehr viel zu erklären.
Jetzt kommen wir zum Culture Clash.
Also, da ist jetzt diese "Fediverse-Kultur", die eben nur eine Mastodon-Kultur ist, weil sie nur Mastodon berücksichtigt und Mastodons Eigenheiten in Stein meißelt. Ich wage zu behaupten, die meisten Mastodon-Nutzer wissen über das restliche Fediverse überhaupt nichts, vielleicht von ein paar Namen abgesehen. Im Grunde ist es ihnen auch scheißegal, solange da nichts stört. Wenn sie denn überhaupt je etwas von einem Fediverse außerhalb von Mastodon mitbekommen.
Was umfaßt nun diese Kultur? Okay, zunächst mal ist sie politisch sehr links orientiert, also gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie, Xenophobie usw. Immerhin wurde Mastodon mit seiner Kultur besonders geprägt von Schwulen, Lesben, Transpersonen, Nichtweißen, Linksliberalen, Linksalternativen, Behinderten und dergleichen, die auf Twitter ständigen Angriffen ausgesetzt waren. Davor sind sie ja nach Mastodon geflohen. Und jetzt wollen sie Mastodon und das ganze Fediverse zu einem sicheren, freundlichen Ort für sich selbst und ihresgleichen machen.
Dazu kommt aber noch mehr. Das steht vereinzelt auch in den Regeln von Mastodon-Instanzen und wird da durch die Moderation auch mal eingefordert und durchgesetzt: Alles an Bildern muß eine gute Beschreibung im Alt-Text bekommen; das sorgt für Barrierefreiheit und Inklusion von Sehbehinderten. Sensible Themen müssen hinter einer Content Warning verborgen werden. Da ist gerade chaos.social sehr rigoros, zum Glück zumindest offiziell nur bei lokalen Tröts und nicht auch bei allen Posts, die über die föderierte Timeline reinkommen. Es sollten auch Hashtags gesetzt werden, um Posts leichter auffindbar zu machen, besonders, seit man auf Mastodon Hashtags folgen kann.
An dieser Stelle knallt es schon zwischen denen, die sich wirklich in Mastodon eingelebt haben und die Mastodon-Kultur leben und atmen, und denen, die Mastodon immer noch verwenden, als wären sie noch auf Twitter. Alt-Text? Was ist das? CW? Gibt's auf Twitter nicht. Hashtags? Keinen Bock. Hab ich auf Twitter nie gemacht. Sollen "die" eben einen Algorithmus einbauen.
Es gibt auch einen "Schattenteil" in der Mastodon-Kultur, über den im allgemeinen nicht geredet wird, weil der eh als gegeben und unumstößlich hingenommen wird. Deswegen ist der auch nirgendwo als Satz von Regeln niedergeschrieben. Und das ist, daß jeder Post nur so aussehen darf wie das, was standardmäßig mit Mastodons eigenen Bordmitteln, Stand jetzt, gemacht werden kann.
Keine Textformatierung. Keine Codeblöcke. Keine Punktlisten. Keine Überschriften (nicht mit Titeln zu verwechseln). Keine Zitate. Keine Quote-Posts. Überhaupt kein Spielkram, der über reinen Text hinausgeht. Keine Hashtags, die nur dem Auslösen von Filtern dienen, schon gar keine solchen, die dem Auslösen von leserseitig CW-erzeugenden Filtern dienen, auch wenn Mastodon die seit Version 4.0 implementiert hat. Und ganz besonders: keine Posts mit mehr als 500 Zeichen.
Meistens spielt in der Praxis nur der letztere Punkt eine Rolle und auch das nur, weil es immer wieder Leute gibt, die Mastodon-Instanzen aufziehen und da in den Quellcode eingreifen und das Zeichenlimit erhöhen. Und die Nutzer auf diesen Instanzen tröten dann lustig überlange Posts. Damit stören sie zum einen die Puristen, für die das Fediverse sich immer und überall anfühlen soll wie eine Mastodon-3.x-Monokultur, und zum anderen die, die die offizielle Mastodon-App nutzen. Die kann nämlich überlange Posts nicht einklappen, weil die bloße mögliche Existenz überlanger Posts bei ihrer Entwicklung seit jeher komplett ignoriert wird.
Alles andere wird als gegeben hingenommen. Man redet nicht drüber, weil Mastodon es eh nicht kann.
Um so schlimmer kann es kommen, wenn jemand nach Monaten, in denen es komplett außer Zweifel stand, daß das Fediverse nur Mastodon ist, zum ersten Mal konfrontiert wird mit dem Fediverse außerhalb von Mastodon.
Das kann sowohl technisch als auch inhaltlich auf zwei Arten und Weisen geschehen. Entweder bekommt er einen Boost eines Boost eines Boost von außerhalb seiner Blase zugeboostet. Oder er hat irgendwas getrötet, worauf jemand anders von weit außerhalb der Blase, der das gelesen hat, antwortet.
Inhaltlich ist es am harmlosesten, wenn da einfach nur jemand schreibt, daß es da auch noch was anderes im Fediverse gibt als nur Mastodon, und wenn der Post ansonsten nicht anders aussieht als ein ganz normaler Mastodon-Tröt. Was da steht, ist vielleicht inhaltlich eine Überraschung und unerwartet.
Aber es kann um so schlimmer sein, wenn der Post von außerhalb von Mastodon kommt und auch so aussieht. Wenn der Post alle möglichen Register dessen zieht, was außerhalb von Mastodon möglich ist.
Da bekommt die arme Sau von Mastodon-Nutzer dann tausende Zeichen auf einen Satz vor den Latz geknallt. Mit Fettschrift und Kursivschrift und Punktliste und und und. Das ist noch schlimmer geworden seit Mastodon 4.0, wo Mastodon die Fähigkeit erlangt hat, solche Sachen auch anzuzeigen.
Der Nutzer, von dem dieser Post kommt, schreibt noch dazu entweder sofort oder auf die Frage hin, was das denn für Hexenwerk ist, weil das doch alles auf Mastodon gar nicht geht: "Ich bin nicht auf Mastodon. Ich bin auf XYZ. XYZ ist nicht Mastodon und hat mit Mastodon nichts zu tun, ist aber mit Mastodon verbunden. Das Fediverse ist nicht nur Mastodon."
Okay, einige Mastodon-Nutzer sind sofort begeistert. Das, was sie da sehen, das haben sie auf Mastodon schon immer gewollt. Und XYZ hat das alles jetzt schon, und sie können von da aus trotzdem weiter mit ihren Freunden auf Mastodon in Verbindung bleiben? Cool! Für so manch einen ist das der erste Schritt einer Reise ohne Wiederkehr.
Andere aber reagieren zutiefst verstört. Ihr Weltbild, in dem das Fediverse nur ihr liebes, nettes, freundliches, kuscheliges Mastodon war, stürzt gerade in sich zusammen. Ein Eindringling hat es zum Einsturz gebracht. Einer, der sich um Mastodons ungeschriebene Regeln einen Dreck schert.
Nein. Nein, das wollen sie nicht. Das können sie auf gar keinen Fall hinnehmen. Sie wollen ihr liebes, nettes, freundliches, kuscheliges Nur-Mastodon-Fediverse zurück.
Schlimmer noch, wenn der "Eindringling" schreibt, daß er gar kein Eindringling ist, weil Friendica/Hubzilla schon Jahre vor Mastodon da war. Wenn überhaupt, ist Mastodon der Eindringling.
Schlimmer auch deswegen, weil es gerade Nutzer von Friendica und Hubzilla sind, die aus Mastodons Perspektive die Mastodon-Kultur mit Füßen treten. Friendica und Hubzilla sind erstens, wie gesagt, älter als Mastodon. Zweitens sind sie vom Aufbau und von der Handhabung her radikal anders, zumal Friendica nicht als Alternative zu Twitter, sondern zu Facebook angetreten ist. Von daher haben sie drittens völlig andere Kulturen, was viertens auch an Features liegt, die sie haben, die Mastodon nicht oder noch nicht lange hat, und fünftens an Features, die Mastodon hat, die Friendica und Hubzilla aber entweder in der Form nicht oder überhaupt nicht haben.
Und sechstens sind beide nicht gerade populäre Umzugsziele für Leute, die seit 2022 von Twitter zu Mastodon gekommen sind. So manch ein Friendica-Nutzer ist ein alter Recke, der schon dabei war, als es Mastodon noch gar nicht gab, auf jeden Fall aber seit lange vor der Twitter-Migration. Und es waren eben diese alten Recken, die Friendicas Kultur geprägt haben. Und auf Hubzilla waren weit mehr Leute vorher auf Friendica als auf Mastodon, auch deshalb ist Hubzillas Kultur ganz ähnlich.
Zwischen Mastodon und Friendica gibt es nicht viel Kontakt. Zwischen Mastodon und Hubzilla gibt's noch weniger Kontakt, nicht nur, aber vielleicht auch, weil Hubzilla das einzige Fediverse-Projekt ist, bei dem die ActivityPub-Unterstützung, also die technische Kompatibilität zu Mastodon, standardmäßig abgeschaltet ist und erst händisch aktiviert werden muß.
Auf der einen Seite heißt das, daß man auf Mastodon von den beiden Projekten wenig mitbekommt. So wenig, daß man sich nicht an sie und ihre Eigenheiten gewöhnen kann. Mindestens drei von vier Mastodon-Nutzern wissen nicht, daß Hubzilla existiert. Um so verstörender ist folglich tendentiell jeder einzelne Post von den beiden.
Auf der anderen Seite heißt das, daß man auf Friendica und Hubzilla von Mastodons Kultur wenig mitbekommt. Auch deshalb nicht, weil Friendica- und Hubzilla-Nutzer über öffentliche Erwähnungen durch Nutzer, mit denen sie nicht verbunden sind, standardmäßig nicht benachrichtigt werden. Wenn sich also jemand auf Mastodon in einem öffentlichen Tröt über sie und ihr ungebührliches Verhalten aufregt, bekommen sie es gar nicht erst mit.
Das, was sie mitbekommen, interessiert sie recht wenig, auch deshalb, weil es ihrer eigenen, sehr viel älteren Kultur widerspricht und ihnen auch mal ganze Features ihrer Projekte wegzunehmen versucht.
Beispiel: die immer wieder auftauchenden Beschwerden über "lange Posts" mit mehr als 500 Zeichen und die aus der Mastodon-Schattenkultur kommende Forderung, daß doch bitte jeder im Fediverse seine Posts auf maximal 500 Zeichen beschränken und gegebenenfalls auf mehrere Posts in einem Thread aufteilen soll. Auch wenn Friendica und Hubzilla das eigentlich sogar besser können als Mastodon, ist doch die typische Reaktion: "Was wollen die? Haben die eigentlich den Arsch offen? Wir waren schon hier, da ging Gargron noch in die Schule! Wir hatten hier
nie irgendwelche Zeichenlimits! Und wir lassen uns hier keine Zeichenlimits aufdiktieren und von
denen schon mal erst recht nicht! 500 Zeichen! Was bilden die sich eigentlich ein, wer sie sind? Die können uns mal!"
Auch auf Wünsche, doch bitte Zeichenformatierungen, Zitate oder ganz besonders "Quote-Toots" zu unterlassen, wird nicht eingegangen. All das hat man schon immer so gemacht.
Und dann sind da die Must-Haves. Hashtags gehen ja noch, auch weil sowohl Friendica als auch Hubzilla im Gegensatz zu Mastodon schöne persönliche Tagclouds anzeigen können.
CWs sind da schon schwieriger. Mastodon hat ja CWs erst seit 2017. Da kam ein Tüftler aus der Demoszene bei Mastodon auf GitHub mit dem Konzept an, einfach von StatusNet das Summary-Feld, das Mastodon meines Wissens bis dahin noch gar nicht eingebaut hatte (wozu bitte Zusammenfassungen für maximal 500 Zeichen), für Inhaltswarnungen zu benutzen.
Hubzilla hatte dasselbe Feld schon immer, aber als Summary. Und auch nur für Posts, die keine Antworten sind, und nicht für Kommentare. Mastodon-CWs gehen also nur über ein Feld, das nicht "CW" heißt, wo auch nirgendwo dokumentiert ist, daß das auf Mastodon das CW-Feld ist. Und bei Kommentaren, also Antworten wie hier jetzt gerade, gehen sie gleich überhaupt nicht. Denn wieso sollten Blogkommentare Zusammenfassungen brauchen? Will sagen, wieso bräuchte es dafür ein Eingabefeld?
Ich glaube, Friendica hatte so ein Feld früher mal und natürlich auch nicht für Antworten. Inzwischen hat es überhaupt kein solches Feld mehr. Statt dessen verwendet es ein Paar BBcode-Tags, die auch bei Antworten gehen, die man aber kennen muß. Wenn man weder diese Tags kennt noch weiß, daß sie einer CW auf Mastodon entsprechen, kann man schlicht und ergreifend keine Mastodon-CWs setzen.
Im übrigen hält man CWs in diesem Feld sowohl auf Friendica als auch auf Hubzilla für kompletten Käse. Und zwar deshalb, weil man schon länger, als es Mastodon gibt, eine sehr viel bessere, flexiblere, individuellere Lösung hat. Die nennt sich "NSFW". Das kann auf Wunsch vollautomatisch Posts hinter Inhaltswarnungen verbergen, und zwar ausgelöst durch Schlüsselwörter im Post. Zumindest auf Hubzilla sind "nsfw" und "contentwarning" voreingestellt, aber man kann die Liste beliebig verändern und erweitern. Das heißt, jeder kriegt die CWs, die er oder sie haben will/muß, und muß sie nicht von anderen Leuten vorgekaut bekommen.
Mastodon kann das ja inzwischen auch mit seinen eingebauten Filtern. Das nutzt aber kaum jemand. Erstens weiß das kaum jemand. Viele wissen überhaupt nicht, daß Mastodon Filter hat. Zweitens ist das wahrscheinlich auch wieder "un-Mastodon-mäßig". Und drittens ist es viel bequemer, von allen Leuten im Fediverse zu verlangen, alle Themen zu CWen, die einen selbst stören. Egal, ob andere diese CW auch wollen oder davon eher genervt sind.
Folglich geht es Mastodon-Nutzern auch gegen den Strich, wenn unter Friendica- oder Hubzilla-Posts ungewöhnlich viele Hashtags sind. Daß locker die Hälfte der Hashtags dazu dienen, das automatische Erzeugen leserseitiger CWs auszulösen, wissen sie nicht, können sie sich nicht vorstellen und akzeptieren sie nicht, weil das in der Mastodon-Kultur so nicht vorkommt.
Auch Alt-Text ist problematisch. Es geht, aber es geht alles andere als einfach. Das stört auch niemanden, weil Alt-Text nie Teil der Kulturen der beiden war und gemeinhin angesehen wird als "noch so eine Mastodon-Spinnerei".
Weder Friendica noch Hubzilla hat so ein praktisches Alt-Text-Eingabefeld für Bilder. Wenn man Bilder mastodonmäßig als Dateien anhängt, wird meines Wissens bei beiden der Dateiname unveränderbar als Alt-Text gesetzt. Wer einen eigenen Alt-Text will, muß die Bilder erst in den eingebauten "Cloudspeicher" hochladen und dann wie in einen Blogpost einbetten. Und dann muß man den Alt-Text händisch in den Bildeinbettungs-BBcode einbauen. Dafür gibt es keine wie auch immer gearteten GUI-Elemente, und ich meine, nicht einmal Friendica hat das irgendwo dokumentiert, Hubzilla hat es jedenfalls nicht. Für Alt-Text muß man quasi "programmieren können". Noch dazu scheint das Ganze auf Friendica buggy zu sein, was nie einer gemeldet hat, weil das selten jemand benutzt.
Die Folge: Fast kein einziger Post von Friendica oder Hubzilla mit Bildern hat Alt-Texte. Und da springt man auf Mastodon fast so sehr im Dreieck wie bei fehlenden CWs.
Und so wirkt es für Mastodon-Nutzer so, als wenn Friendica- und Hubzilla-Nutzer auf die Mastodon-, äh, Fediverse-Kultur pfeifen und sie mit Füßen treten. Wahrscheinlich werden Friendica- und Hubzilla-Nutzer aus genau diesem Grunde auf Mastodon massenhaft geblockt. Daß es noch keine Kampagnen dafür gibt, Friendica und Hubzilla komplett zu fediblocken aufgrund des ungebührlichen Verhaltens ihrer Nutzer, kann nur daran liegen, daß Posts von den beiden auf Mastodon immer noch so selten sind.
Umgekehrt fühlen sich Friendica- und Hubzilla-Nutzer wie amerikanische Ureinwohner, denen irgendwelche europäischen Kolonisten ihre eigene Kultur aufzwingen wollen, und wenn sie die nicht annehmen und die eigene Kultur abschaffen, werden sie weggesperrt.
Eine Fortsetzung folgt noch. Und da geht es passenderweise um den Umgang mit Fremdplattformen.
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